Die Videospiele der 60er im Test

Je weiter man in die Vergangenheit zurückblickt, umso verschwommener wird das Wissen, desto undurchsichtiger etwaige Zusammenhänge. Was für die gemeine Geschichtsschreibung gilt, lässt sich auch auf den Ursprung der Videospiele projizieren. Der Großteil der aktuellen Zocker-Riege wuchs mit Sonys Playstation auf oder zockte eventuell in der Kindheit Super Mario World auf dem Super Nintendo. Passionierte Gamer, meist älterer Semester, werden sich ebenfalls noch an frühere Blütezeiten erinnern, an den Aufstieg Ataris, den großen Videospielecrash von 1984 und der Wiedergeburt durch Nintendos Famicom.

Eine Epoche vorher nimmt die Zahl der vermeidlichen Experten weiter ab. Die 70er waren die Geburtsstunde der Spielhalle, die massenproduzierte und daher günstige Fernsehtechnologie ermöglichte die ersten Automaten. Der erste große Blockbuster der Branche war „Pong“ vom so genannten „Vater der Videospiele“ Nolan Bushnell. Doch wer waren die Großväter?

 

Die_Videospiele_der_60er_2_2Alles fing an, als ein gewisser William A. Hingbotham eine Attraktion für einen Tag der offenen Tür kreierte. Seit 1947 arbeitete er für das „Brookhaven National Laboratory“ (BNL), das präzise Messinstrumente entwickelte. Hierfür stand ihm modernste Technologie in Form eines Analogcomputers zur Verfügung. „Analog“ bedeutet, dass der Rechner ausschließlich mit physikalischen Prozessen rechnet, zur Datensicherung und Bearbeitung also bestimme Spannungen verwendet.

Bei den Anwohnern war das BNL alles andere als beliebt. Die drei Kernreaktoren des Forschungsinstituts hinterließen nach dem Weltkrieg und dem aufkeimenden Konflikt mit der Sowjetunion einen faden Beigeschmack. Deshalb beschlossen die Wissenschaftler im Jahre 1958 einen Tag der offenen Tür für die Bevölkerung des Umlandes zu organisieren. Doch wie kann man einem Laien die technischen Vorgänge begreiflich machen?

Eine prägnante Anwendung musste her – also konstruierte Higinbotham aus seinen Rechnern eine Umgebung für ein virtuelles Tennisspiel. Als Bildschirm fungierte hier ein Oszilloskop, dem damals üblichen Bildausgabe-Gerät für analoge Rechenmaschinen. Dieses stellt verschiedene Spannungen mit einer Lichtspur dar, die dem einen oder andern Leser eventuell noch aus dem Physik-Unterricht ein Begriff sind. Aus drei weißen Strichen und einem beweglichen Punkt bastelte er „Tennis for two“, ein menschlicher Mitspieler übernahm den Part des Kontrahenten, da es für einen Computergegner an Rechenleistung mangelte.

Die_Videospiele_der_60er_2_3Der „Controller“ bestand aus einem Kasten mit zwei Buttons, die Abschlagswinkel und Schlag steuerten. Die technische Spielerei mutierte zum absoluten Publikumsmagneten und verursachte lange Schlangen. Im folgenden Jahr entwickelte William Higinbotham seine Idee weiter und implementierte zusätzliche Variablen für Schlagstärke und Schwerkraft. Auch spendierte er der Tennis-Simulation einen neuen Bildschirm mit stattlichen 36cm Bilddiagonale. Doch 1960, zwei Jahre nach seiner Pioniertat, verschwand das Gerät schon wieder, um Platz zu machen für einen Schaukasten, durch den sich elektrische Funken bewegten. Dies bedeutete allerdings noch nicht das Ende der Videospiele.
 

Die_Videospiele_der_60er_2_5In demselben Jahr, in dem das erste Videospiel schon wieder von der Bildfläche verschwand, wurde der PDP-1 (Personal Digital Processor) entwickelt. Es war der weltweit erste Minicomputer, der ebenfalls an das MIT ausgeliefert wurde. Wobei der Begriff „Mini“ jedoch relativ ist, zwar füllte der Rechner keine Schlachthäuser mehr aus, ins heimische Wohnzimmer passte er aber noch lange nicht. Der Prozessor alleine hatte die Ausmaße eines großen Kleiderschrankes.

Doch das störte damals nicht. Im Gegenteil: Aufgrund seiner vergleichsweise niedrigen Maße sprach das Gerät diejenigen an, die aus ihm einiges herauskitzeln wollten. Denn jetzt, wo die richtige Hardware vorhanden war, ließen auch die ersten Hacker und Nerds nicht lange auf sich warten. Diese formierten sich am MIT im „Tech Model Railroad Club“ (TMRC); mit klassischen Modelleisenbahnen befasste sich die freakige Vereinigung freilich nur sekundär.

Einer von ihnen war Stephen Russell. Dieser hätte während der Arbeit an einem Assembler-Programm die Idee für eine Raumkampfsimulation (Sputnik und seine Folgen ;-) ), die er mit seinen Mitstreitern nach 200 Arbeitsstunden im Februar 1962 in die Tat umsetzte. Zwei Raumschiffe manövrierten vor schwarzem Hintergrund und beharzten sich mit Raketen. Als besonderes Feature bot „Spacewar!“ bereits einen begrenzten Spritvorrat. Der Hacker-Kultur entsprechend überließ Russels Team den Sourcecode der Szene, die das Game mit einem Sternenhimmel und Gravitation bereicherte. War dies die Inspiration für Ataris Asteroids?

 

Die_Videospiele_der_60er_2_8Im August 1966 machte sich ein gewisser Ralph Baer in seiner Freizeit Gedanken über die vielseitige Verwendungsfähigkeit des Fernsehers. Meist flimmerte nur belanglose Werbung in den rund 40 Millionen durchverkauften amerikanischen Geräte. Könnte man die technische Errungenschaft nicht auch interaktiv nutzen? Ihm kamen erste Ideen für Videospiele, die auf private Haushalte abgestimmt waren.

In seiner Firma Sanders Associate genoss Baer eine hohe Freiheit, was die Verteilung der staatlichen Gelder betraf - dem exorbitanten US Rüstungsbudget sei dank. So zwackte er kleinere Summen vom Finanzkuchen ab, um seine Visionen wahr werden zu lassen. Bereits am 20.Oktober war ein Prototyp fertig gestellt, zwei Spieler konnten je einen Punkt über den Bildschirm bewegen, wobei der eine als Jäger und der andere als Gejagter fungierte.

Nach der Absegnung durch den Entwicklungschef Herbert Campman, wurde das Gerät weiter verbessert, was nicht zuletzt dem Ingenieur Bill Rusch zu verdanken ist. Dieser hatte die Idee für ein Gewehr, mit dem sich die Punkte abschießen ließen. Ebenfalls schlug er vor, einen dritten Punkt vom Computer steuern zu lassen, was ein primitives Fußballspiel ermöglichte. Anfang 68 existierten zahlreiche Spielkonzepte, wie Ping-Pong, Eishockey, Jagd- und Ballerspiele. Wie später das Vectrex nutze auch Baers Kreation farbige Folien, um die Games grafisch aufzuwerten. Sie selbst war dazu nicht in der Lage.

Die_Videospiele_der_60er_2_91970 erschien die Spielekonsole schließlich unter der Bezeichnung „Odyssey“ und wurde vom TV-Hersteller Magnavox (Tochtergesellschaft von Philips) vertrieben. Bis '72 erzielte der Branchenprimus stattliche 100.000 Verkäufe. Während dem Unternehmen die Lizenzen einen gigantischen Geldsegen bescherten, stellte Ralph Baer auch in den folgenden Jahren seine Kreativität unter Beweis. So entwickelte er eine Videokamera, die den Spieler abfilmte und als Gesichtstextur ins Game implementierte.

Doch der Konsole war keine lange Lebenszeit gegönnt. Aufgrund des schlechten Marketings seitens Magnavox glaubten viele Kunden, dass das Gerät nur auf Fernsehgeräten des Herstellers laufen würde. Ein fataler Irrtum. Dennoch entwickelte man bis 1977 weitere Versionen. Die letzte offizielle Variante, das Odyssey 4000, konnte sogar Farben darstellen.

Doch zu diesem Zeitpunkt war die erste Konsolengeneration schon im Aussterben begriffen. Eine Firma mit dem Namen Atari konnte dank einem Spiel mit dem Titel Pong große Erfolge einfahren. Und danach .... Nun, das ist eine Geschichte für ein andermal.

 

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