Gaming ist mainstream - wirklich? im Test

Täglich lange Strecken zur Arbeit zu pendeln ist kein Spaß. Glücklicherweise beträgt meine Bahnfahrt nur 10 Minuten. Andere verbringen Stunden in Bus und Bahn. Einen dieser Menschen beobachtete ich vergangene Woche auf einem Sitzplatz mir schräg gegenüber.

Ich schätzte ihn auf vielleicht Mitte Dreißig. Gepflegte Erscheinung, Jeans, Hemd. Kurze blonde, gegelte Haare. Was die Beobachtung besonders machte, war die PSP seinen Händen. Und weniger das Gerät, sondern sein Verhalten damit. Verstohlen blickte er immer auf die anderen Fahrgäste. So als erwarte er einen empörten Kommentar: »So alt und Sie spielen noch!?«. Gingen Fahrgäste im Gang vorbei, dreht er sich leicht weg, damit man nicht sieht, dass er spielt. Er fühlte definitiv nicht, als sei Gaming in der Öffentlichkeit etwas völlig ‚Normales‘. Ist er ein Einzelfall?

 

psp-kinderspielzeug

 

Allerorten liest man seit Jahren, Gaming sei im Mainstream »angekommen«. Es sei keine Nische mehr, in der sich (so der damals verbreitete Glaube) pummelige kleine Jungs mit schmuddeligen T-Shirts tummeln. Aber ist das so? Zwar mögen Verkaufszahlen gestiegen und sich die Medienpräsenz verstärkt haben, doch Mainstream im Sinne eines gewandelten Bildes von Spielen kann ich nicht erkennen. Wer kennt einen mittelständischen Firmenchef, der offen vor Angestellten bekundet, er zocke in seiner Freizeit gerne japanische Shoot em ups? Was würden die Kollegen vermutlich von ihm denken?

 

In unserer Gesellschaft werden Erwachsene, die offenbar nichts »Produktives« tun, als faul gescholten oder als Kind verspottet. So als müsse man sich schuldig fühlen, 20 Stunden in ein Spiel gesteckt zu haben, ohne am Ende ein verkaufsfertiges Produkt generiert zu haben. Gaming sei Zeitverschwendung, so die Allgemeinheit, denn es erwirtschaftet ja nichts. Es steigert weder das Bruttosozialprodukt noch schafft es einen materiell greifbaren Mehrwert. Akzeptabel ist es höchstens als Absacker nach einem stressigen Tag in der Agentur - aber auch nur, um dadurch neue Kraft für den nächsten produktiven Arbeitstag zu gewinnen.

Vielleicht liegt es in unserer Historie begründet, denn bis vor zwei Generationen musste der Mensch stets hart fürs nackte Überleben arbeiten. Spielen nur um des Spielens willen war und ist allein Kindern vorbehalten. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass Spielen für Kinder zur körperlichen und psychischen Entwicklung absolut unerlässlich ist. Nur im Spiel haben sie Gelegenheit, aus ihrem bekannten Umfeld auszubrechen und Neues kennenzulernen. Vor neue Situationen gestellt zu werden, Probleme zu lösen, alte Standpunkte überdenken und zu revidieren, blitzschnell Lösungsansätze zu entwickeln - all das, was sie auf ihr späteres Leben in einem produktiven Arbeitsleben vorbereiten soll.

Entsprechend liefen alle Bemühungen der Gaming-Community um Anerkennung zumeist in eine Richtung: Man bemühte sich, Video- und Computerspiele als »erwachsen« darzustellen. Oder als Kunst. Oder als Wissenschaft. Es gibt sogar Spiele, die nichts mit anderen Titeln gemein haben wollen, weil sie ernsthaft und erwachsen seien. Leider spielen sie sich auch so. Dabei zeichnet ein Game doch eben das Kindliche aus: Die grenzenlose Phantasie, das Denken in Konjunktiven, der fehlende Realitätsbezug oder die ehrliche Freude, ein seltenes Item zu finden. Gute Spieledesigner verstehen genau diese Elemente in ihren Werken so zu platzieren, dass sie Spieler fesseln und unterhalten.

Es ist zum Scheitern verurteilt, Videospiele zu etwas Erheben zu wollen, was sie niemals sein können: Nämlich das, was wir in unserer Gesellschaft als »erwachsen« definieren. Spiele, so wie alles in allen Lebensbereichen heutzutage, zu »verzwecken«. Da muss als Argumentation fürs Spiel dann schon mal herhalten, man nutze es doch, um seine kognitiven Fähigkeiten oder Reaktionsfähigkeiten zu steigern. Vollständig erwachsen und abgeklärt halt. Denn was würde man über einen Fondmanager denken, der sich kindlich darüber freut, nach vier Stunden grinden endlich genug XP für den nächsten Level up zu haben? Genau - Trottel! Und der verwaltet mein Geld!?

Vielversprechender wäre es, den Spieß umzudrehen. Das Kindliche aufzuwerten. Also solche Emotionen nicht als negativ zu sehen. Es als Geschenk zu empfinden, sich in einem Spiel völlig verlieren zu können und sich über Dinge frei amüsieren zu können. So lange dieses Umdenken nicht geschieht, wird Gaming nie in der Mitte unserer Gesellschaft ankommen. Denn es wird immer Kindlich bleiben. Es liegt in seiner Natur. Es wird daher in den Augen der absoluten Mehrheit immer Zeitverschwendung bleiben, in der man doch viel wichtigere, produktive Dinge hätte erledigen können. Bekümmert uns das?

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