Vermisst: Interaktion aus Parser Zeiten im Test

Letztens sah ich ein TV-Interview mit David Lebling von Infocom aus dem Jahr 1985. Lebling berichtete begeistert, wie sich Spiele weiterentwickeln und Infocom Adventures ausgeklügelter und raffinierter würden. Wer zu jener Generation zählt, die mit Text Adventures aufwuchs, der weiß, dass dieser Mann nicht zuviel versprach. Die Infocom Titel sind noch heute unvergessen. Text Adventures? Ihhh, meint der Autor wirklich diese potthässlichen Textwüsten? Ja, genau die.

sherlockholmes-infocomZwei Dinge fand ich an Text Adventures faszinierend. Erstens, dass sich alles in der Fantasie des Spielers abspielte. In meinem Kopf entstanden ganze Fantasy-Welten, die fehlende Optik füllte ich durch eigene Vorstellungen auf. „Du stehst vor dem Eingang einer düsteren Höhle, deren Eingangsbereich nur vom fahlen Schein einer Fackel erhellt wird“. Na, seht ihr es? Genau!

Der zweite Grund, warum ich mit Wehmut an die Pioniertage des Adventure zurückdenke, ist der Parser. Was ist ein Parser? Ein Text Parser interpretierte die Eingabe des Benutzers für das Programm. So dass es keinen Unterschied ergab, ob man „Get gold“ oder „Take gold“ auf dem Keyboard tippte - man sackte das Edelmetall trotzdem ein. Die ersten Parser waren plump, entwickelten sich über die Jahre aber rasant weiter und verstanden dann sogar komplexe Anweisungen.

Der Vorteil lag auf der Hand: Während später beim SCUMM-System der LucasArts Adventure nur eine Handvoll Verben zur Verfügung stand („Benutze Kettensäge“) war ein Text Parser umfangreicher. Alles, was der Programmierer als Kommando definierte, konnte im Abenteuer genutzt werden. Trotz der begrenzten Technik der frühen 80er Jahre, gab es Hunderte Möglichkeiten. Man saß als Spieler vor dem Rechner und grübelte über passende Handlungen nach. Bei der Suche nach den abstrusesten Kombinationen („Pinkel in Feuer“) kam große Freude auf, wenn das Programm dies mit der entsprechenden Antwort krönte. Legendär beispielsweise Leisure Suit Larry, das auf Eingabe von „masturbate“ mit „Larry, the whole idea was to stop doing that!“ antwortete.

larry1Es ist diese Art von Interaktion, die ich bei heutigen Spielen vermisse. Ich liebte den Parser. Die frühen Sierra Spiele. Die unangeahnten Möglichkeiten. Natürlich waren die Möglichkeiten in Wirklichkeit begrenzt - sehr begrenzt. Aber es wirkte nicht so. Eine neue Überraschung lauerte immer schon hinter der nächsten Ecke. Man musste nur sein Köpfchen ein wenig anstrengen.

Und hier kommen wir zum springenden Punkt: Spieldesign, Grafik, Sound - all das entwickelt sich seit den bescheidenen Anfängen fulminant weiter. Wer hätte vor 20 Jahren daran gedacht, einmal in einer Welt wie der von Elder Scrolls: Oblivion frei umher zu wandern? Damals pure Science-Fiction! Und doch - die Interaktion mit einem Spiel stagniert seit Infocom Tagen - oder entwickelt sich gar zurück.

Nehmen wir allein die Gespräche mit einem Nicht-Spieler-Charakter (NPC). Bei Infocoms legendärem Sherlock Holmes formulierte man seine Frage gefühlsmäßig (!) frei - „ask about xy“.  Heutige NPCs brabbeln hingegen entweder ungefragt drauflos oder werden steif im Multiple-Choice-Verfahren ausgequetscht. Wobei die Optionen meist ebenso lahm wie vorausschaubar sind. Option 1 führt zu bla bla über die Story, Option 2 zu einem Quest und Option 3 ist Verabschieden / Gesprächsende. Natürlich vereinfache ich gerade grob fahrlässig. Aber wer viel spielt, weiß, was ich meine. Und über was für Aussagen stolpert man bei Interviews mit Entwicklern großer Softwarehäuser wiederholt? Man sei heutzutage mehr Arbeiter als Künstler & Kreativkraft. Nirgendwo tritt dies in meinen Augen klarer zu Tage, als bei den Dialogen vieler Spiele.

Nicht falsch verstehen: Sebastian fordert nicht die zwangsweise Wiedereinführung des Parsers. Ich will nicht zurück zum Text Adventure. Auf modernen Konsolen schon mangels Tastatur nicht. Aber ich will meine Fantasie angeregt wissen. Und genau hierbei kann man viel von jenen Adventure-Opas lernen, nämlich wie man Interaktion in einer virtuellen Welt intelligent gestaltet. So, dass man trotz bestehender Limitierungen den Eindruck erweckt, „frei“ in seinem Handeln zu sein. Wie das aussehen soll? Tja, wenn ich das wüsste, würde ich nicht diese Zeilen in meine Textverarbeitung hacken, sondern aktiv an der Entwicklung mitwirken.

Die Game Designer der Zukunft sind gefragt. Die Vorzeichen stehen gut: Nachdem das Rennen um immer realistischere Optik ausgebremst scheint, werden sich Entwickler anderen Faktoren zuwenden müssen, um ihr Produkt attraktiver zu gestalten. Interaktion & Storytelling bieten sich hierfür an. Momentan verfolge ich die rasante Weiterentwicklung bei der Sprachsteuerung (á la Siri) mit großer Erwartung. Vielleicht wird sie die Interaktion in Spielen revolutionieren, so wie dies einst Infocom mit seinen Adventures Anfang der 80er Jahre tat?

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