Child of Eden im Test

Xbox 360
“Dürfen Videospiele als Kunst bezeichnet werden?“ Diese Frage hat schon zu vielen Streitigkeiten in intellektuellen Kreisen geführt. Dabei reichen fünf Minuten mit Rez, egal ob auf Dreamcast, Playstation 2 oder als HD-Variante auf der Xbox 360, völlig aus, um die Antwort zu finden. Sie lautet: “Ja, auf jeden Fall!“ Das Meisterwerk des japanischen Game-Designers Tetsuya Mizuguchi löst beim Konsumenten mindestens so viele unterschiedliche emotionale Reaktionen aus, wie ein Gang durch ein Museum oder der Besuch eines Konzerts. Fans des anspruchsvollen Rail-Shooters dürfen sich nun freuen, denn die lang herbeigesehnte Fortsetzung ist endlich erschienen. Child of Eden soll nicht nur durch seinen einzigartigen Stil begeistern, sondern darüber hinaus auch noch Core-Gamer mit der ungeliebten Kinect-Hardware versöhnen. Gelingt es dem fertigen Produkt diese riesigen Erwartungen zu erfüllen?

Child of Eden hat tatsächlich eine Geschichte, die vor dem Beginn des eigentlichen Spiels mit Unterstützung einer beeindruckenden Videosequenz erzählt wird. In ferner Zukunft verbindet das Internet nicht nur alle Computer des Planeten miteinander, sondern ist zum Archiv der gesamten Menschheitsgeschichte geworden, das von jedem Punkt des besiedelten Universums erreichbar ist. Der alte Name wird dem gigantischen Netzwerk nicht mehr gerecht und da es seinen Nutzern traumhafte Erfahrungen im Cyberspace ermöglicht, wird es kurzerhand in Eden umgetauft. So weit so gut... Der Rest der Story ist extrem verwirrend und es wäre nicht verwunderlich, wenn Mizuguchi-San das Intro mit voller Absicht nutzt, um seine Kundschaft auf den ersten von vielen Psychotrips zu schicken. Lumi, der erste im Weltall geborene und inzwischen auch dort verstorbene Mensch soll in Eden in digitaler Form zu neuem Leben erweckt werden. Dumm nur, dass sich dort fiese Viren breit gemacht haben. Damit ist auch die Hauptaufgabe klar. Eden muss gesäubert werden, damit die junge tote Dame ein Paradies vorfindet. Das ist äußerst wichtig, um... Ja warum eigentlich? Eventuell wird diese Frage nach dem Durchzocken beantwortet. Vielleicht wird aber alles nur noch skurriler. Ich will an dieser Stelle nicht zu viel verraten.

Child_of_Eden_8.jpg

Auch wenn es sich im Grunde um ein Ballerspiel handelt, fühlt es sich schäbig an, dieses stumpfe und martialische Wort zu benutzen, um das Gameplay von Child of Eden zu beschreiben. Ja, es wird viel geschossen, aber dabei kommt es weniger auf schnelle Aktionen an, als vielmehr auf eine ruhige Hand und gutes Timing. Drei verschiedene Werkzeuge stehen zur Verfügung, um die virtuelle Welt zu säubern und Lumi zu retten. Bis zu acht Gefahrenquellen und Objekte – irgendwie wirkt es unpassend in diesem Zusammenhang von Feinden zu sprechen – können nacheinander anvisiert und anschließend gleichzeitig unter Beschuss genommen werden. Als weiteres Hilfsmittel darf ein lila Laserstrahl (bitte drei Mal schnell nacheinander “lila Laserstrahl“ sagen) verwendet werden, der mit sehr schneller Frequenz auf alles feuert, was im Fadenkreuz zu sehen ist. Beim letzten Werkzeug handelt es sich um einen gewaltigen Energiestoß, der jegliche Ziele auf dem Bildschirm erwischt und viel Schaden anrichtet. Natürlich ist in jedem der Levels nur eine begrenzte Anzahl dieser Bomben verfügbar.

Child_of_Eden_1.jpg

Auch leidenschaftlich Kinect-Hasser müssen nicht auf Child of Eden verzichten. Das Game lässt sich problemlos mit dem Standard-Controller spielen, wodurch es praktisch zu einer moderneren und schöneren Version von Rez wird. Wer den Bewegungssensor besitzt, wird sich fragen, ob Mizuguchi vor zehn Jahren, als der Vorgänger für Dreamcast erschien, bereits wusste, dass die Hardware eines Tages erfunden wird. Es wirkt tatsächlich so, als wäre das Grundkonzept exklusiv für Kinect entwickelt worden. Ausnahmsweise sieht der Mensch vor dem Fernseher mal nicht völlig bescheuert aus, wenn die diversen Aktionen ausgeführt. Mit der rechten Hand werden die Ziele anvisiert und eine schnelle Vorwärtsbewegung sorgt dafür, dass die Geschosse losfliegen. Das linke Greifwerkzeug steuert den Laser und wenn beide Arme in die Luft gerissen werden, löst das den Spezialangriff aus. Bequeme Zeitgenossen können problemlos im Sitzen spielen und sich über die genaue Bewegungserkennung freuen. Ein Mini-Manko ist allerdings vorhanden. Beim Wechseln der Schussvariante kommt es häufig dazu, dass sich der Blickwinkel leicht verschiebt, was gerade in heiklen Situationen für Frust sorgen kann.

Child_of_Eden_11.jpg

Welche Art der Steuerung ist nun die bessere? Das ist schwer zu sagen, denn Spaß bringen beide. Controllerpuristen werden wahrscheinlich am Ende eines Levels etwas mehr Punkte auf dem Konto haben, aber nur Kinectler können Child of Eden mit allen Sinnen (Na ja, das stimmt nicht ganz. Das Game ist geruchs- und geschmacksneutral.) genießen. Was Highscores und andere Bewertungsmechanismen angeht, werden die beiden Varianten übrigens komplett unabhängig voneinander bewertet, was äußerst fair erscheint. Trotzdem ist eine Kombination der Technologien möglich. Wer sich damals den Trance Vibrator (Das Teil heißt wirklich so...) für die Playstation 2-Fassung von Rez für viel Geld aus dem fernen Nippon bestellt hat, kommt diesmal billiger davon. Bis zu vier Controller können in den Optionsmenüs dazu gebracht werden, im Takt der Musik zu vibrieren. Was mit dieser Funktion alles angestellt werden kann, bleibt zwar der eigenen Fantasie überlassen, aber ich empfehle ein Pad in jede Hand zu nehmen und dann mit Kinect zu zocken, um wirklich alle Schnittstellen, die zwischen Mensch und Maschine existieren, gleichzeitig zu nutzen.

Child_of_Eden_2.jpg

Das Gameplay ist nicht sonderlich abwechslungsreich und mit gerade mal fünf Levels ist das Spiel auch alles andere als lang. Dennoch bleibt Child of Eden die Existenz als Staubfänger im Regal erspart, was in erster Linie an dem genialen Design der einzelnen Missionen liegt. Jede der kleinen Welten wurde mit viel Liebe zum Detail in Szene gesetzt und oft tritt das eigentliche Spiel in den Hintergrund, weil es so viel Interessantes zu sehen und zu hören gibt. Besonders erwähnenswert sind die Bosse, die am Ende jeder Mission lauern und sich mehrfach auf eindrucksvolle Art und Weise verwandeln, bis sie sich irgendwann geschlagen geben. Außerdem wird der Zocker immer wieder dazu gezwungen, die wenigen Waffen im Arsenal abwechselnd einzusetzen. Werden die Lenkraketen im Rhythmus der Musik auf acht Ziele gleichzeitig abgefeuert, rast die Punktzahl in die Höhe. Doch einige Objekte, wie beispielsweise gefährliche Geschosse, lassen sich nur mit dem Laser zerstören.

Child_of_Eden_10.jpg

Addiert man lediglich die Minuten, die für das Beenden der einzelnen Levels durchschnittlich benötigt werden, beträgt die Gesamtsumme ungefähr eine Stunde. Doch es würde schon an ein Wunder grenzen, wenn es jemand schafft, wirklich jede Mission beim ersten Versuch zu meistern. Es reicht nicht aus, einfach nur zu überleben. Nur wenn die Abschlusswertung stimmt, öffnet sich der nächste Bereich. Wiederholte Besuche in der Welten lohnen sich auch, um ein paar Extras wie Galeriebilder und Videos freizuschalten oder Punktzahlen zu erreichen, die in den Online-Highscorelisten für Aufsehen sorgen. Als letzte motivationssteigernde Maßnahme wurde ein zweiter Schwierigkeitsgrad integriert.

Child_of_eden_3.jpg

Es fällt mir unglaublich schwer, die passenden Worte zu finden, um die Grafik angemessen zu beschreiben. Das liegt in erster Linie daran, dass jedes der Levels einen ganz eigenen Look hat und der Bildschirm zu fast jedem Zeitpunkt bis auf den letzten Millimeter gefüllt ist. Während des Spielens treffen so viele Eindrücke auf die Netzhaut, dass es dem Gehirn einfach nicht möglich ist, alles zu erfassen und so zu speichern, dass sich daraus später ein treffender Bericht formulieren lässt. Beim Betrachten der Screenshots in unserer Galerie kann es schnell zur falschen Schlussfolgerung kommen, dass es sich um Bilder aus unterschiedlichen Games handeln muss. Selbst Kleinigkeiten wie die Energieanzeige wurden individuell gestaltet, damit sie zur jeweiligen Umgebungsgrafik passen. Einige Abschnitte von Child of Eden erinnern mit ihren klaren geometrischen Formen und kühlen Lichteffekten verdächtig an Szenen aus Tron, während andere Levels einen sehr organischen und lebendigen Eindruck machen. Mal ist die Umgebung hochgradig abstrakt und wird von Wesen bevölkert, die kaum zu beschreiben sind, kurze Zeit später schwimmt ein realistisch animierter monströser Wal durchs Bild, der in allen Farben des Regenbogens leuchtet. Die verrückte Reise führt durch Wälder, Meere, das Weltall und weitere abgedrehte Schauplätze. Doch selbst wenn die Umgebung ein wenig vertraut wirkt, gibt es immer mehr als genug fantastische Elemente, die zur Verfremdung eingesetzt werden. Interesse an einer bewusstseinserweiternden Erfahrung aber keine Lust auf Drogen? Child of Eden ist eine gesunde Alternative!

Child_of_Eden_5.jpg

Es ist nicht nur der Stil, der die Optik auszeichnet. Hinter den psychedelischen Bildern steckt grundsolide Handwerkskunst. Das Game läuft trotz der vielen Effektfeuerwerke und der enormen Anzahl gleichzeitig dargestellter Objekte flüssig. Besonders die Konfrontationen mit den Bossen werden Technikfanatiker in Verzückung versetzen. Wenn in den letzten Sekunden eines Levels Videosequenzen von Lumi in die Spielgrafik eingebunden werden, wirkt das nie billig, sondern sieht einfach nur genial aus.

Child_of_Eden_9.jpg

Der Soundtrack ist seit Rez etwas zahmer geworden. Die meisten Songs, die von der Gruppe Genki Rockets beigesteuert wurden, fallen in die Kategorien J-Pop, House oder Trance. Harte und kompromisslose Techno-Beats sind deutlich seltener zu hören als im Vorgänger. Doch egal, ob der eigene Musikgeschmack nun perfekt bedient wird oder nicht, die Stücke harmonisieren sehr gut mit den fantastischen HD-Bildern. Es war Mizuguchis erklärtes Ziel Farben, Formen, Töne und Gameplay zu einer Erlebniswelt zu verschmelzen, in der alle Bestandteile aufeinander reagieren. Dieses Experiment ist gelungen. Die eigenen Aktionen beeinflussen die akustische Untermalung gleich auf mehreren Ebenen. Die Musik ändert sich abhängig von der Spielweise und es ist erstaunlich, wie gut die vielfältigen und teilweise exotischen Soundeffekte die Melodien ergänzen.

Child_of_Eden_6.jpg

Tim meint:

Tim

Es ist durchaus möglich, keinen Spaß an Child of Eden zu haben. Objektiv betrachtet ist das Gameplay nicht sonderlich abwechslungsreich und die Kinect-Steuerung ist zwar gut, aber nicht perfekt. Da es keinen Multiplayer-Modus gibt, eignet sich das Werk auch nur bedingt als Gruppenentertainment. Trotzdem kratzt Tetsuya Mizuguchis Vision am oberen Rand der neXGam-Wertungsskala. Das liegt in erster Linie an dem erfrischend originellen Grundkonzept des Games. Wir leben in einer Zeit, in der sich oft das unangenehme Gefühl breit macht, dass alles schon erfunden wurde und jedes neue Produkt auf alten Ideen basiert. Child of Eden ist die perfekte Medizin gegen die Fortschrittsdepression. Es ist nicht nur ein Spiel, sondern ein interaktives Erlebnis. Sound, Grafik und Gameplay sind so intelligent miteinander verknüpft, dass es nahezu unmöglich ist, sich dem besonderen Charme des Rhythmus-Shooters zu entziehen. Allein die Existenz des inhaltlich ähnlichen Vorgängers Rez verhindert, dass Child of Eden als Innovationswunder bezeichnet werden darf. Dank Kinect-Support ist es in der Fortsetzung allerdings möglich, noch tiefer in die herrlich abgedrehten Levels einzutauchen, als jemals zuvor. Es bleibt abzuwarten, ob die angekündigte Move-Fassung für Playstation 3 die letzten kleinen Steuerungsmacken behebt und zum ultimativen Bewegungsspiel für Core-Gamer wird.

Positiv

  • ein digitales Kunstwerk
  • extrem abwechlsungsreiche Levels
  • mit Controller und Kinect gut steuerbar

Negativ

  • objektiv betrachtet oberflächliches Gameplay
  • Musik nicht so genial wie im Vorgänger
Userwertung
0 0 Stimmen
Wertung abgeben:
senden
Forum
  • von cd32:

    *Push* der Boss ist für mich unpackbar sobald er seine Schuss Sequenzen abfeuert. Tips ?

  • von cd32:

    Kann mir jemand beim Passion Level helfen ? Ich verliere viel Energie bei der Sequenz mit dem roten und dem blauen Läufer und speziell beim Boss weil ich mit dem Abschiessen der lila Schüsse nicht nachkomme.

  • von Opeth:

    Dann nehm das Ding halt mit zur Retrobörse und ich nehm's dir ab... Sofern du es dort nicht den ganzen Tag getragen hast um die Leute um deinen Stand zu scharen ...

Insgesamt 125 Beiträge, diskutiere mit
Follow us
Child of Eden Daten
Genre -
Spieleranzahl 1
Regionalcode PAL
Auflösung / Hertz -
Onlinefunktion Ja
Verfügbarkeit 16.06.2011
Vermarkter Ubisoft
Wertung 9.1
Anzeigen
neXGam YouTube Channel
Anzeigen