Von Mumien und Moneten im Test

Mega Drive

Homebrews... eine schöne Parallelwelt für passionierte Gamer, weit abseits des immer aufwendiger gestalteten, hochauflösenden Mainstreams der großen Videospiele-Hersteller. Die Homebrewszene existiert im Schatten des Milliardengeschäfts der Industrie; den meisten Spielern gänzlich unbekannt wird hier Liebhabern und Traditionalisten das geboten, was wirtschaftlich für Sega, Nintendo und Co schon lange keinen Sinn mehr macht. Diese Nische sind Entwicklungen für kommerziell längst aufgegebene Plattformen; Systeme, die von ihren Herstellern und Lizenznehmern im Angesicht neuer Technik zum Sterben zurückgelassen wurden, nachdem sie ihr Soll erfüllten. Schließlich sollen Kunden nicht allzu lange bei der alten Technologie verharren.

Sich diesem Zyklus aus Leben und Niedergang einer Spielehardware entgegenzustellen, ist eine Aufgabe aus Liebe; und jene Spieler, die derartige Gefühle für ihre eingestaubten Daddelkisten teilen, unterstützen gerne solches Engagement. So ein Fall ist „Oh Mummy Genesis“.

Am Anfang stand YouTube
Zu Beginn Juli erregte ein Trailer die Aufmerksamkeit dieses Schreiberlings. Auf der Videoplattform „YouTube“ stach mir dieses kurze Filmchen sofort ins Auge. Zwar hatte ich noch nie einen Upload des Benutzers angeschaut und dementsprechend auch nichts abonniert. Aber die unheilige Verschmelzung der Datenkrake Google mit der Plattform kennt unser aller Vorlieben freilich besser, als wir uns das eingestehen wollen. Und so traf das Portal mit dieser Empfehlung bei mir genau ins Schwarze.

Von einem neuen Spiel für Segas Mega Drive, die Konsole in deren Namen ich als 12-jähriger auf dem Schulhof harte Gefechte gegen die Truppen des verachtenswerten Super Nintendo ausfocht, war die Rede. Soweit keine Überraschung, hatte ich doch seit dem Erscheinen des Rollenspiels Beggar Prince im Jahre 2006 die Entwicklungen im Mega-Drive-Bereich im Auge behalten. Ich war gar selbst inzwischen in der Homebrew-Szene aktiv und meinte jeden zu kennen, der sich des 16-Bitters annahm. Was sollte das für ein Spiel sein, das auf einmal aus dem nichts angekündigt wurde, und dessen Trailer auf einen fast fertigen Entwicklungsstatus schließen ließ?

Gestatten: 1985alternativo!
Von_Mumien_und_Moneten_2Nach zweimaliger Betrachtung des Videos und einer kleinen Suche im World Wide Web war ich schlauer. Anscheinend war das „Oh Mummy Genesis“ betitelte Projekt echt, und tatsächlich war es das Werk eines mir völlig unbekannten Teams.

„1985alternativo“ nannte es sich, und dessen Logo mich mit der Digitalanzeige der Zahl 1985 direkt an den Flux-Kompensator und die „Zurück-in-die-Zukunft“-Filme erinnerte. Ob das beabsichtigt war, weiß ich bis heute nicht. Aber die Assoziation passte; tatsächlich erfuhr ich bei näherer Recherche, dass es das Ziel des Teams war, eine Art von Zeitreise zu unternehmen, und zwar eine in Form von Spielen. Ihr erstes Werk, genannt „Watman“, war erst wenige Monate zuvor erschienen; für eine weitere tote Plattform, nämlich dem Gameboy Advance. Und es war ein Remake des 1986er Spectrum-Klassikers „Batman“ aus dem Hause Ocean, einem recht beliebten isometrischen Geschicklichkeitsspiel. Und auch das Mega-Drive-Spiel, dem mein Interesse in erster Linie galt, stellte sich als Remake heraus. Schließlich war „Oh Mummy“ ein Spiel gewesen, mit dem ab 1984 neben Spectrum- und MSX-Spielern in erster Linie die Anhänger des Amstrad CPC (bei uns durch die Firma Schneider vermarktet) Bekanntschaft machen durften. Ein verbreiteter Titel, da er häufig in Bundles und Compilations zu finden war und von Amstrads eigener Publishing-Sparte vertrieben wurde. In Deutschland war es allerdings vermutlich weniger bekannt, da das hierzulande „Schatz der Pharaonen“ getaufte Werk der Programmierer von Gemsoft nie den Liebling deutscher Nerds jener Tage, den Commodore 64, beehrte.

Im ersten Moment zögerte ich; der Gedanke eines antiken Heimcomputerspiels auf meinem technisch doch so weit überlegenen Mega Drive musste sich erst setzen. Schließlich war diese Art von Spielen auch 1990 schon belächelt worden! Aber es sah nett aus; bunt, mit Knuddelsprites und hübschen Manga-Bildern...

Letzten Endes gaben der niedrige Verkaufspreis von rund 25 Euro sowie die bereits erwähnte generell gern gegebene Unterstützung kleiner Spieleschmieden den Ausschlag. Wer seine Freizeit nutzt, um neues Futter für ausgehungerte Konsolen zuzubereiten, verdient diese läppische Summe. Allein schon als symbolische Geste, die sagt, dass man die Sache gut findet und auf mehr hofft! Der Oktober, und damit der Release des Spieles war ja auch nicht mehr in allzu weiter Ferne.

Gebt mir all euer Geld!
Von_Mumien_und_Moneten_3Kurzerhand im neXGam-Forum gepostet, wo schon Pier Solar rege Unterstützung and, kristallisierte sich schnell ein recht großes Interesse heraus. Sicher nicht so groß, wie wenn ein neues RPG angekündigt wird, aber doch gut. Mit Spanien als Herkunftsland, was schnelle Lieferzeit und das Ausbleiben von Zollproblemen versprach, sowie dem geringen Preis fanden sich so einige Interessenten.

Lediglich die Portokosten von 7 Euro pro Spiel schienen mir als notorischen Sparfuchs etwas hoch gegriffen. Und da erfahrungsgemäß der gemeine Deutsche auch ein Tier mit PayPal-Allergie ist, der Rest der zivilisierten Welt jedoch diese Zahlungsart für internationale Transaktionen bevorzugt, dachte ich mir ich könnte zwei Mumien mit einer Klappe schlagen: Porto sparen und PayPal-Verweigerern zum Modul (und damit 1985alternativo zu besseren Verkäufen) verhelfen. Da die Entwickler des Spiels ihre Website nur in Spanisch betrieben und die Publicity eher gering war, konnte ich davon ausgehen, ihnen mit 10 oder mehr verkauften Exemplaren bereits eine echte Freude zu machen. Wahrscheinlich würde das ihre mit Abstand umfangreichste Order sein. Gesagt, getan. Eine Sammelbestellung wurde organisiert.

16 Forumsmitglieder, darunter für mich überraschend auch einige mir unbekannte, überwiesen mir mit Freude ihr hart erspartes Taschengeld. Auf einen Preis von 436,15 Euro inklusive Versand zu mir einigte ich mich mit den Jungs von 1985alternativo, speziell Teamleiter Albert Mayora. Das waren nur 12 Euro Porto für 17 Spiele. Die Kommunikation verlief reibungslos. Selten lernte ich so freundliche Entwickler kennen; Antworten auf E-Mails kamen nach wenigen Minuten. Sauber! Ich war ein Held! Prompt bezahlte ich die Summe an das PayPal-Konto von 1985alternativo. Der Oktober konnte kommen.

Jemand zuhause?
Der Oktober stand unter keinen allzu guten Vorzeichen. Einige andere neXGamer hatten zwischenzeitlich auch das vorangegangene Spiel von 1985alternativo, das erwähnte Watman, bestellt. Was ankam war leider nicht berauschend; die Rede war von zerquetschten Schachteln und minderwertig wirkenden Modulen. Der eine oder andere wartete zudem lange vergeblich.

Und auch ich war inzwischen besorgt; das mulmige Gefühl in meiner Magengrube verstärkte sich noch, als nach oben beschriebenen Erfahrungen anderer User die Kommunikation mit den Entwicklern immer spärlicher wurde und schließlich vollends versiegte. Jetzt war der Oktober gekommen, aber von „Oh Mummy Genesis“ fehlte jede Spur. Ich hatte die User bei neXGam auf das Projekt erst aufmerksam gemacht und die Sammelbestellung organisiert; hatte ihr Geld genommen und damit bezahlt. Und kein Spiel war in Sicht. Keine Antwort war zu bekommen von 1985alternativo. Es waren mehr als 45 Tage seit der Zahlung vergangen, also würde ich die Summe nicht bei PayPal zurückfordern können.

Ich war ernsthaft beunruhigt, versuchte aber mir selbst gut zuzureden. Immerhin lieferten die Entwickler mehrmals „Watman“ aus, war das Spiel doch schon Monate vor meiner Bestellung erhältlich gewesen. Wieso 6 Monate lang einen Titel verkaufen und korrekt ausliefern, um anschließend mit den paar Euro für das zweite Spiel das Weite zu suchen? Die Unsicherheit blieb trotzdem.

Ich versuchte weiterhin, mit den netten Spaniern Kontakt aufzunehmen. Über die Kommentarfunktion der Website, über Facebook, Twitter und YouTube; vergeblich. Doch dann sah ich mir meine PayPal-Abrechnung an; der Empfänger des Geldes nannte sich „Fase Bonus“, nicht 1985alternativo. Und ich fand eine Homepage dieses Namens, inklusive Forum, und es stellte sich heraus, dass dahinter dieselben Leute stecken wie hinter 1985alternativo.

Was war passiert?
Jetzt war bereits Dezember, als man endlich wieder über das Fase-Bonus-Forum vom Team Neuigkeiten erfuhr. Tatsächlich wurden die ersten Spiele zur Weihnachtszeit verschickt.

Ursache für die Verzögerung waren angeblich technische Schwierigkeiten. Die genauen Umstände kenne ich immer noch nicht, aber vorgeblich war es nicht die Schuld der Entwickler; man kann wohl von einem Produktionsfehler ausgehen. Der zweite Fehler, und das geben die Programmierer zu, war allerdings ihr eigener: der Kommunikationsstopp. Man war davon ausgegangen das Problem innerhalb weniger Wochen in den Griff zu bekommen, und das Spiel selbst als Botschaft in die Welt zu schicken. Keine Zeit sollte an Statusupdates verschwendet werden. Das mag uns merkwürdig erscheinen, aber aus Erfahrung weiß ich, dass man sich in solchen Situationen einfach Illusionen macht...

Jedem Kunden wurde volle Rückerstattung des Kaufpreises angeboten, und man merkte nochmal an, dass man bitte nicht als Vertreter der spanischen Nation verstanden werden wollte. War doch die finanzielle Situation Spaniens des Landes mitunter mit der angeblichen Faulheit der Bewohner in Zusammenhang gebracht worden.

Was ist das für eine Sendungsnummer?
Im Januar erhielt ich auch Auskunft über unsere Sammelbestellung; sie war Anfang des Monats losgeschickt worden, sogar eine Trackingnummer bekam ich. Wunderbar! Einige Versuche bei DHL, der deutschen und spanischen Post und Hermes später war wieder Ernüchterung da. Von himmelhoch jauchzend zurück ins Tal der Tränen; die Nummer funktionierte nicht! Und natürlich hatte ich erneut Probleme, Antwort von 1985alternativo auf die Frage zu erhalten, wo ich die Sendungsverfolgung bitte nutzen könnte. Zeitgleich kamen mir ein neXGam-User und ein Schreiben im Briefkasten zur Hilfe. Diese Ziffer war eine EMS-Nummer. Das Paket musste aus China verschickt worden sein.

Von_Mumien_und_Moneten_4GDSK, oder: wie kassiert man für nicht gewünschte Dienstleistungen?
Der Brief stammt von der Gesellschaft der Schnellkuriere. Eine Firma, die einen Vertrag mit der EMS hat. EMS-Sendungen landen nicht einfach beim hiesigen Zoll, nein, die GDSK nimmt sie an sich und benachrichtigt den Empfänger. Dabei bietet das Unternehmen an für günstige 25,59 Euro die Verzollung zu übernehmen. Ein feiner Zug, und wer darauf verzichten und sich lieber auf eigene Faust durch deutsche Zollregelungen wühlen möchte, sollte das auch tun können, wenn er den korrekten Punkt ankreuzt und unterschreibt. Dann wären nur 4,50 Euro Bearbeitungsgebühr fällig.

Dumm für die GDSK ist, dass in Deutschland die Verzollung von offizieller Seite her kostenfrei ist. Diese Firma verschleiert das. Und da man nur von der GDSK und nicht vom Zollamt direkt benachrichtigt wird, ist jeder Empfänger versucht das Schreiben zu unterzeichnen. Und sei es nur, um zu bestätigen, dass man die Dienste nicht in Anspruch nehmen möchte. Mit der Unterschrift legitimiert man aber zumindest die Bearbeitungsgebühr.

Wieder dank der Hilfe eines Mit-neXGamers wurde ich davon abgehalten etwas zu unterschreiben und las mir einen Leitfaden zum Thema durch. Ich sollte die Firma einfach ignorieren, das Zollformular selbst ausfüllen, ausdrucken und mit Belegen ohne Umweg über die GDSK ans Hauptzollamt schicken. Sie habe kein Recht auf irgendeine Bezahlung und würde dann das Paket kostenfrei an mich weitersenden müssen, schließlich war das Porto bis zu mir ja schon vom Versender in China bezahlt worden. Und so lief es wirklich; zwei Stunden Recherche und Formularausfüllen sowie und einige Tage später klingelte endlich der GLS-Sklave an der Tür. „Oh Mummy Genesis“ war da!

Dabei lag eine Rechnung vom Zoll; 19% des Gesamtwertes würde ich nachzahlen müssen. Aber da zeigte sich erneut, dass die spanischen Entwickler, wenn auch in der Organisation und Kommunikation nicht ganz professionell, doch absolut nette Burschen sind. Kulant wie ich es nicht erwartet hätte (ich hatte schon alle Besteller angeschrieben und um eine anteilige Nachzahlung gebeten) übernahm 1985alternativo die 19%.

Von_Mumien_und_Moneten_1Ende gut, alles gut?
Noch am selben Tag gingen die Spiele an alle meine Besteller raus, und ich war froh, den Ärger vom Hals zu haben. Warum war das Game überhaupt aus China gekommen, statt aus Spanien? Offensichtlich war unsere Order doch nicht der größte Auftrag gewesen. Tatsächlich soll jemand gar 100 Stück bestellt haben; ein wohlbekannter Wiederverkäufer aus Deutschland beispielsweise hatte schon seit Monaten Exemplare bei eBay im Vorverkauf. Bei 1985alternativo rechnete man nicht annähernd mit so einer Nachfrage. Es wäre den Jungs unmöglich gewesen die Spiele nach der Arbeit in solchen Stückzahlen aus Spanien zu verschicken, oder auch nur zu lagern. Und teurer, weil ja erst mal der Versand von China nach Spanien hinzugekommen wäre.

Jetzt können wir alle recht zufrieden sein. Wir bekamen unser Spiel und zahlten nichts drauf; aber nicht alles ist Gold, was glänzt. Die Herkunft aus China sowie Produktion zum Budgetpreis und unter Zeitdruck machen sich in minderwertigen Hüllen und Modulen bemerkbar. Die Verarbeitung wird dem ansonsten offensichtlich mit viel Herzblut geschaffenen Werk nicht wirklich gerecht. Das gebrochene Englisch in der Anleitung, sowohl der vermutlich mit Hilfe von Google übersetzte deutsche Text auf der Packungsrückseite sind hingegen auf ihre Art eine charmante Erinnerung an einfachere Videospielzeiten, als auch bei den Großen noch nicht alles so professionell ablief wie heutzutage.

Die Gestaltung der Anleitung und das Spiel selbst spiegeln einfach den sympathischen Eindruck von Enthusiasten wieder, die sich einen Traum verwirklichen und ein schönes Game für ihren geliebten Mega Drive machen wollten. Das ist ihnen gelungen. Und nach dieser Odyssee für sie und für uns denke ich, dass 1985alternativo einige Lektionen für zukünftige Projekte lernte, und dass wir dank unserer Sammelbestellung „Oh Mummy Genesis“ immer in besonderer Erinnerung halten werden.

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Forum
  • von Omnibot2000:

    So wird es gewesen sein ...

  • von 108 Sterne:

    Dann haben die PCE Devs eine Zeitmaschine gebaut, sind in die Zukunft gereist und haben bei 1985alternativo abgekupfert!?

  • von Omnibot2000:

    Gerade beim Coryoon-Spine googlen gefunden: ...

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