Ich nehme die Antwort vorweg: Ja, ist sie! The Witcher 2: Assassin of Kings - Enhanced Edition offenbart sich als ein Fest für die Augen und ein Quell langanhaltender Freude für jeden, der Rollenspielen auch nur ansatzweise etwas abgewinnen kann. Wie im PC-exklusiven Vorgänger wird der geneigte Spieler in eine düstere, politisch fragwürdige Welt gezogen und - hier bleibt sich die Serie treu - darf sie nicht unerheblich mitgestalten. Jedwede Tat hat Auswirkungen. Selbst der eine oder andere Dialog erschüttert das Königreich Temerien, wenn auch oftmals zeitversetzt, in seinen Grundfesten.
Als Geralt von Riva, der titelgebende Hexer, sucht man in lauschigen Wäldern und auf brennenden Schlachtfeldern nach Antworten. Wer mag der Königsmörder sein? Welche Absichten verfolgt er? Die RPG-Interessierten unter den Lesern durften mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits Freunde, Bekannte oder Kollegen von der umwerfenden Optik des zweiten Witcher-Teils schwärmen hören. Was ist von der Vorzeigegrafik auf der weitaus schwächeren Hardware übrig geblieben? Dass die 360, nach mittlerweile sechs Jahren, nicht gänzlich mit aktuellen, hochgezüchteten Rechenknechten mithalten kann, liegt auf der Hand. Allerdings vollbrachten die Jungs von CDProject hier ein kleines Wunder - die Umsetzung steht ihrem großen Bruder in überraschend wenig nach. Freilich fallen die Effekte nicht so opulent aus, präsentieren sich die Texturen niedriger ausgelöst. Natürlich werden grobere Schatten und eine geringere Sichtweite geboten. Ins Gewicht fällt das aber kaum.
Wälder, Städte und Gebirge sehen hüben wie drüben wunderschön aus. Sattes Grün, plätschernde Wasserfälle, moosbewachsene Wurzeln. Dazu wundervolle Ambient-Klänge und einlullende Hintergrundmusik. Nichts wirkt hier steril oder unpassend. Kein Baum sieht aus wie der Nächste. In diesem Stück Software steckt Herzblut. Eine Tatsache, die bereits den Vorgänger zu einem Genre-Klassiker machte. Neben den liebevoll gestalteten Schauplätzen bleibt sich die Serie auch in anderer Hinsicht treu. Spieler erleben eine ungewöhnlich authentische Welt - inklusive ungeschönter Brutalität, expliziter Erotik, gesellschaftlicher Missstände und politischer Ränkespiele. Zumindest in Sachen Fleischeslust schaltet der Hexer allerdings einen Gang zurück. Nicht länger ist Geralt darauf aus, jeden Rock ins eigene Schlafgemach zu laden, der sich nicht bei drei auf dem Baum befindet. Qualität statt Quantität. Mit den reizvollen Spielkarten des ersten Teils ist es vorbei, jetzt wird der Akt ausführlich dargestellt. Mit allen Einzelheiten. Zweifellos nicht jedermanns Geschmack, aber der Authentizität mehr als zuträglich.
Mit bösen Buben und garstigem Getier springt Geralt, wie gewohnt, weniger sanft um. Hexer-typisch führt er je ein Schneidewerkzeug aus Silber wie auch aus Stahl. Zwischenzeitlich darf zwar Hand an exotischere Waffen wie eine Hellebarde gelegt werden, einen praktischen Nutzen haben diese jedoch kaum. Verlernt hat der Witcher freilich auch seine alchemistischen Fähigkeiten nicht. Tränke, Öle, Gifte, Bomben und Fallen können hergestellt und verwendet werden. Im höchsten Schwierigkeitsgrad stellt sich das sogar als zwingend nötig heraus, um zu überleben. Apropos: Zart besaitete sollten die Finger vom zweiten Abenteuer des Hexers lassen, da der Großteil der Gegner bereits bei mittlerer Schwierigkeit eine Herausforderung darstellt. Ohne Basiskenntnisse des Genres ist Frust vorprogrammiert.
Geralts Suche nach der Wahrheit verschlägt ihn in die verschiedensten Teile Temeriens - für Leser der Buchreihe dürfte dabei so mancher geheimer Wunsch in Erfüllung gehen. Welcher Fan wollte nicht schon einmal höchstpersönlich durch die wilden, undurchdringlichen Wälder Flotsams schlendern? Nach dem initialen ersten Akt spaltet sich die Story auf. Abhängig von der Seite, auf die ihr euch schlagt, erlebt ihr mit Beginn des zweiten Akts völlig unterschiedliche Spiele. Mit anderen NPCs, Quests und Schauplätzen. Hier zeigt sich erneut, mit wie viel Engagement die Entwickler ans Werk gegangen sind. Dabei bleibt die Geschichte um den Königsmörder, Geralts Vergangenheit und Temeriens Zukunft bis zum Ende hin spannend - merkliche Längen gibt es nicht. Daddler, welche weder die Buchreihe noch das Prequel kennen, kommen sich bei der Unmenge von Charakteren und Nebenplots zuweilen jedoch verloren vor und sollten die angebotenen ausführlichen Orts- und Personenbeschreibungen keinesfalls ignorieren. Apropos Persönlichkeiten: In dieser Kategorie wird gewohnte Witcher-Qualität geboten. Egal ob Nebendarsteller, wie Saskia und König Henselt, oder Verbündete und der Königsmörder selbst. Jeder wirkt überzeugend und fügt sich perfekt in die Geschichte ein. Dies sind keine leeren Polygonhülsen, sondern Figuren mit Vergangenheit und Profil.
Neben den, zumeist abwechslungsreichen, Story-Missionen verdingt sich Geralt als Monsterjäger. Schließlich kann auch ein Hexer nicht allein von Luft und Liebe leben. Dabei wird von simplen Sammelaufgaben bis hin zu Beseitigungsgesuchen gefährlicherer Brocken alles geboten. Wie bereits im Vorgänger begegnet der weiße Wolf seinen Gegnern nicht mit überlegener Kraft und beispielloser Widerstandsfähigkeit. Vielmehr bereiten ihm schon wenige Hiebe seiner monströsen Widersacher ein Ende. Und gleichermaßen benötigt er eine beachtliche Anzahl von Treffern, um Kontrahenten ähnlicher Stufe zu beseitigen. Der Spieler muss also Geralts Bewegungsrepertoire ausreizen. Schläge werden entweder pariert oder umgangen, Ziele kontinuierlich gewechselt. Anfangs wirkt die Echtzeitsteuerung hektisch und zuweilen überfordernd. Bereits nach kurzer Zeit geht sie jedoch in Fleisch und Blut über, was der Hexer mit einem akrobatischen und nicht minder tödlichen Klingentanz belohnt.
Neben seinen treuen Schwertern setzt ein Witcher, der etwas auf sich hält, natürlich auf Magie. Kenner des ersten Teils bekommen hier Altbewährtes geboten. Magische Falle, Schutzschild, feurige Berührung. Dies ist nicht verwunderlich, erlernen Hexer doch, laut Hintergrundgeschichte, ausschließlich jene Zauber. Und anders als Magier verfügen sie weder über die Fähigkeiten noch über den Wunsch, dieses Wissen zu erweitern. Neu ist, dass das Zeichen Axii in Dialogen eingesetzt werden kann, um gewaltlos benötige Informationen aus NPCs zu quetschen. Und wie im Erstling besteht auch hier die Möglichkeit, dieses Know-How auszubauen. Zu diesem Zwecke gilt es, Skillpunkte zu investieren, welche Geralt, RPG-typisch, bei jedem Stufenaufstieg erhält. Neben dem angesprochenen Magiebaum darf außerdem in verbesserte Schwertkampffähigkeiten, einen Ausbau der Alchemiekenntnisse und diverse Spezialfähigkeiten, wie beispielsweise das Verwenden von Wurfdolchen, investiert werden.
Bei The Witcher 2 handelt es sich nicht um ein Open World-Rollenspiel. Die verschiedenen Areale wirken nicht klein, aber, im Vergleich zu einem Elder Scrolls oder dem brandaktuellen Dragon's Dogma, zumindest begrenzt. Auf der Spielwelt liegt allerdings auch nicht der Fokus des Titels. Ebenfalls nicht auf den körperlichen Auseinandersetzungen, obwohl diese hervorragend inszeniert daher kommen. Obgleich essentiell, stehen weder die Quests noch die Dialoge im Mittelpunkt. Beim zweiten Ableger der Hexer-Reihe dreht sich alles um die Geschichte. Dynamisch ist sie, interaktiv. Was immer ihr tut oder sagt, wirkt sich in irgendeiner Weise aus. Nicht wenige Rollenspiele besitzen diesen Anspruch, kratzen den Aspekt an. Zumeist mit simplen Gut-oder-Böse-Dialogoptionen. Aber keinem gelingt es in einer ähnlichen Perfektion wie 'Assassin of Kings'. Keines lässt euch den gesamten Pfad beschreiten, den eure Handlungen öffnen. Keines bietet 16 unterschiedliche Endings. Assassin of Kings ist in der Tat ein erwachsenes Rollenspiel. Nicht allein aufgrund der unverschleierten Präsentation von Sexualität oder der expliziten Gewalt, sondern in erster Linie durch seine komplexe, mitunter gesellschaftskritische Darstellung schicksalsträchtiger Entscheidungen in einer politisch fragwürdigen Welt.
Mit »The Witcher 2: Assassin of Kings« präsentiert uns der polnische Entwickler CDProject einen hervorragenden Port eines hervorragenden Rollenspiels. Wer ein ausgereiftes, anspruchsvolles und erwachsenes RPG sucht, greift bedenkenlos zu. Witcher-Fans sowieso. Gelegenheitsspieler riskieren, ob des, gemessen am aktuellen Standard, hohen Schwierigkeitsgrads zunächst einen Blick. Sich diesem Meisterwerk auf Dauer entziehen zu können, ist jedoch so aussichtsreich, wie dem Zeichen Axii die Stirn zu bieten.